
von marius von mayenburg
düsseldorfer schauspielhaus 2024
mit: claudia hübbecker, pauline kästner, florian lange
regie: anton schreiber
bühne: susanne hoffmann
kostüm: juliane molitor
sounddesign: marco girardin
dramaturgie: robert koall
licht: christoph stahl
ton: leopold stoffels
regieassistenz: lisa muchow
bühnenbildassistenz: frauke wettengel
kostümassistenz: ariana moll
produktionsleiter: ronald mengler




fotos: david baltzer

Presse
Westdeutsche Zeitung
Ovationen im Düsseldorfer Schauspielhaus für das spannende Theaterstück „Ellen Babic" von Marius von Mayenburg Zwischen Boulevard und Psycho-Thriller DÜSSELDORF • . Einladend schaut das rote Sofa aus. Auf den ersten Blick: ein trautes Heim. Weniger heißt es aber: Glück allein… – für die Lehrerin Astrid und ihre Freundin Klara, die vor 14 Jahren ihre Schülerin war und seitdem mit ihr zusammenlebt; in einer schicken Stadtwohnung. Leicht angespannt ist die Lage zwischen den beiden, denn Astrids Direktor Wolfram hat sich angesagt. Obwohl Astrid nicht müde wird, zu behaupten, es sei ein rein privater Besuch, traut ihre Geliebte dem Braten nicht. Sie wittert Gefahr. Man ahnt: Manche komplizierte Konstellationen können sich ergeben – in „Ellen Babic“, dem gleichnamigen Stück von Marius von Mayenburg, dessen Premiere (in der Inszenierung von Anton Schreiber) im Düsseldorfer Schauspielhaus mit Ovationen gefeiert wurde. Jubel besonders für die Mimen Claudia Hübbecker (Astrid), Florian Lange (Wolfram) und Pauline Kästner (Klara). Der Autor von Mayenburg, Jahrgang 1972, liebt boulevardeskes Geplänkel, aus dem plötzlich existenzielle Abenteuer mit scheinbaren Verwerfungen erwachsen können. Zwischen allen Charakteren. So überrascht es wenig, dass er im Laufe von pausenlosen zwei Stunden leichte Kost im Stil gehobenen Boulevard-Theaters serviert. Streckenweise mit Tiefgang und Nervenkitzel, versteht sich. Die Dialoge zwischen den Dreien drehen sich anfangs um allzu banale Problemchen. Und kommen in eleganter Oberflächlichkeit daher. Dank der pointensicheren und straffen Typen-Regie von Schreiber und dem Dekor einer Vorabend-Serie mit rotem Sofa (Susanne Hoffmann). Sobald Schuldirektor Wolfram die gute Stube betritt, fegt durch die Tür die Böe von pfeifenden Herbst-Winden. Als Vorbote für stürmische Entwicklungen: Durch Wolframs Anwesenheit bekommt die scheinbare Idylle erste Risse. Auch zwischen den Frauen. Obwohl er zunächst mit Astrid einen Wein schlürft und auf den ersten Blick ein harmloser Mann zu sein scheint – ein Musik- und Geschichtslehrer, der sich als empfindsame Künstlernatur sieht. Doch nach einer lässigen Bemerkung von Astrid rastet er unvermittelt aus. Wie ein gefährlich ruhiger Vulkan speit er (Meisterleistung von Florian Lange) aus dem Nichts Funken und Lavastücke. Das wirkt echt und nicht aufgesetzt. So mutiert der eben unterhaltsame Theaterabend in eine Psycho-Szene. Eben noch schmunzeln die Zuschauer über den unbeholfenen Wolfram, der sich unter dem Gewand eines einfältigen Tollpatschs tarnt. Doch unvorbereitet offenbart Wolfram, der Jahrzehnte die schützende Hand über Astrid gehalten hat, seine wahren Gefühle, seine Sehnsüchte. Und will Rache für Schmach und die Zurückweisungen der attraktiven Kollegin, die nun mal auf Frauen steht. Alte Rechnungen sollen beglichen werden, indem Wolfram ihr seltsames Verhalten, während einer Klassenfahrt, der Behörde melden will. Schockstarre auch bei vielen Zuschauern. So nimmt das Wechselbad zwischen typenkomödiantischem Auftrumpfen und inneren existenzbedrohenden Kämpfen der Lehrerin Astrid seinen Lauf. Jung-Regisseur Anton Schreiber landet auch durch seine Personenführung einen Coup: Er, bzw. Claudia Hübbecker, zeichnet das überzeugende Porträt einer anfangs selbstbewussten, beflissenen und schülerorientierten Studienrätin, die dienstlich befördert werden will. Plötzlich und unerwartet sieht sie sich dem Vorwurf sexuellen Missbrauchs gegenüber. Und ihr droht das berufliche Aus. Ausgelöst scheinbar – und das kommt erst im weiteren Verlauf heraus – durch die Vorwürfe der Eltern der pubertierenden (titelgebenden) Schülerin Ellen Babic. Deren Eltern machten dem Schulleiter Wolfram seltsame Andeutungen: Astrid hätte die Schülerin betäubt und angeblich unsittlich berührt – in einer Jugendherberge während einer Klassenfahrt nach Trier. Genau dort, wo vor 14 Jahren der Funke zwischen Klara und Astrid übergesprungen ist. Eine Wendung, die indes ein bisschen konstruiert wirkt. Im letzten Teil der persönlichen Schlammschlacht zwischen Pädagogin und Direktor trumpft Astrid auf. Eine weitere Glanzszene von Hübbecker. Um ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, spielt Astrid die Rächerin und will Wolfram erpressen – wegen seiner sexuellen Annäherungen ihr gegenüber. Jahrelang habe sie Notizen dazu gemacht, droht sie. Fazit: ein (von Anton Schreiber) packend in Szene gesetztes Stück. Und eine virtuose Gratwanderung zwischen Boulevard und Psycho-Thriller.
Rheinische Post
Achterbahn fahren im Psychothriller „Ellen Babic“ spinnt ein feines Netz von brüchigen Beziehungen. Vor allem ist es eine Sternstunde der Schauspielkunst in Düsseldorf. Ein rotes Sofa vor einer beigefarbenen Schrankwand mit zwei Türen, zahllosen Klappen und einer Uhr bildet im Großen Haus des Düsseldor fer Schauspielhauses die unauffällige Kulisse eines Konversationskammer spiels, in dem drei Seelen einander auf wühlen. Das Stück „Ellen Babic“ von Marius von Mayenburg entfaltet in alle Richtungen so viel Kraft, dass man als Zuschauer bald glaubt, in einem szeni schen Psychothriller Achterbahn zu fah ren – einem Drama übrigens, in dem jene Ellen Babic nicht in Erscheinung tritt, jedoch den Gesprächskern eines geheimnisvollen Geschehens bildet. Drei Schauspieler glänzen in gegensätz lichen Rollen, in denen sie das Publi kum in ein Wechselbad aus Sympathien und Antipathien tauchen. Am Ende wird man sich fragen: Wer lügt hier eigent lich und wer sagt die Wahrheit? Oder sagt vielleicht jeder und jede eine eigene Wahrheit? Claudia Hübbecker verkörpert die lesbi sche Lehrerin Astrid, die mit ihrer ehe maligen Schülerin Klara (Pauline Käst ner) zusammenlebt. Die ist von vornher ein auf Krawall gebürstet. In einer Mischung aus Eifersucht und Emanzen gehabe fordert sie von Astrid die Aus sage, dass der Besucher, den Astrid zu sich nach Hause eingeladen hat, ein „Arschloch“ sei. Dieser Mann, der gleich die Eingangstür aufstoßen wird, ist immerhin der Direktor der Schule, in der Astrid unterrichtet. Wolfram, so heißt er, ein Herr mit Bauch und einem Redeschwall, der stän dig schwankt zwischen scheinbarem Einvernehmen und süß verpackten Angriffen, gern auch unter die Gürtelli nie. Florian Lange spielt diesen schmie rigen, gemeinen Typ so stilecht, dass er zunächst alle Antipathien auf sich zieht. Wolfram ist gekommen, um mit Astrid ein heikles dienstliches Thema zu besprechen. Es geht um Ellen Babic aus der Klasse 10b. Astrid vermag an deren Verhalten in der Schule nichts Auffälli ges festzustellen. Wolfram fragt darauf hin, ob bei der Lehrerin vielleicht die Koordinaten etwas verrutscht seien, denn der Vater von Ellen Babic habe sich bei ihm beschwert, und er, Wolf ram, habe sich in dieser Angelegenheit schützend vor Astrid gestellt. Wutent brannt wirft sie ihm daraufhin Übergrif figkeit vor; sie verbitte sich seinen „Schutz“. Erst nach und nach schält sich heraus, was geschehen ist. Ellen Babic hatte auf einer Klassenfahrt nach Trier Whisky getrunken und sich übergeben müssen. Astrid hatte sie in der Jugendherberge, als es ihr wieder besser ging, in ihr eige nes Bett gelegt und sich damit in den Augen des Vaters und des Schuldirek tors sexuellen Missbrauchs verdächtig gemacht. Astrid merkt schnell, dass ihr Chef sie fertigmachen will, indem er sie laufend durch sexuelle Anspielungen provoziert. Ebenso versucht er, Astrids Freundin Klara in die Enge zu treiben. Nachdem sie sich als Schreinerin vorge stellt und fachgerecht von Schlitz und Zapfen gesprochen hat, spielt der Direk tor zielgenau auf die erotische Seite die ser Begriffe an. Jetzt wird es immer lauter auf der Bühne. Der Direktor herrscht Astrid an: „Was im Raum steht, ist sexueller Missbrauch.“ Mehr noch: Er wirft Astrid vor, nach ihrem angeblichen Beu teschema habe sie seinerzeit auch Klara in ihre Liebesfalle gelockt. Astrid schlägt nun zurück und ruft ihrem Chef in Erinnerung, dass er, als sie noch Referendarin war, ihr verschiedentlich sehr nahe gekommen sei und zudem bedauert habe, dass sie eine Lesbe sei. Der Direktor kontert nun, sie werde wegen Ellen Babic vor Gericht kom men. Daraufhin offenbart Astrid, sie habe jahrelang alle sexuellen Vorkomm nisse um ihren Chef notiert und hinter einer Tür ihres Wandschranks gesam melt. Als sich aber das Schrankfach beim Öffnen der Klappe als leer erweist, zeigt sich, dass Astrid gelogen hat und man ihr so wenig trauen kann wie ihrem unbarmherzigen Gegner. Gegen Schluss des Stücks häufen sich die Wendungen. Klara gießt Wolfram erst weißen, dann roten Wein über Hose und Hemd. Wolfram hat seinen Abschied aus dem Beruf angekündigt und die Absicht, ausgerechnet Astrid zu seiner Nachfolgerin zu ernennen. Mit Hut, Unterhose und Socken mit der sin nigen Aufschrift „Boss“ verlässt er die Bühne. Hinter ihm schließt sich die Tür wie von Geisterhand. Unterdessen wirft Klara Astrid vor, dass sie ihr die Vorge schichte ihrer Liebe verschwiegen habe, und fordert: „Das Lügen zwischen uns muss aufhören.“ Sie packt ihre sieben Sachen, mit denen sie einst in Astrids Wohnung eingezogen ist. Zieht sie aus? Ist die Liebe zerbrochen? „Ellen Babic“ – in Düsseldorf insze niert von Anton Schreiber und zuvor bereits in Berlin gezeigt – spinnt ein fei nes Netz von Beziehungen, die brüchig werden können und Menschen urplötz lich in einem anderen Licht erscheinen lassen – eine Sternstunde der Schau spielkunst in Düsseldorf. Zum Schluss steht Astrid allein auf der Bühne. Und legt sich aufs Sofa.
Theater pur
„Was im Raum steht, ist sexueller Missbrauch.“ Marius von Mayenburg lässt uns in seinem Stück Ellen Babic Einblick nehmen in die Beziehungen zwischen einem Vorgesetzten, hier der Schuldirektor Wolfram, und seiner Untergebenen, der Lehrerin Astrid. Welche Motive hat Wolfram, an diesem Abend Astrid zu besuchen, die mit ihrer ehemaligen Schülerin Klara in einer lesbischen Beziehung zusammenlebt? Will er sie wirklich nur gegenüber falschen Anschuldigungen aus der Elternschaft, die nach einer Klassenfahrt nach Trier erhoben wurden, schützen? Ist sein Besuch in der Wohnung der zwei Frauen nur dienstlich begründet? Wir sehen ein relativ neutrales Wohnzimmer, in dessen Mittelpunkt ein großes, rotes Sofa steht. Im Hintergrund Schrankwände mit diversen Fächern. Astrid erwartet ihren Chef, um ein dienstliches Problem zu besprechen, sie ist nervös, da sie keine Ahnung hat, worum es geht. Klara sieht die Notwendigkeit dieses Besuchs nicht ein, egal, worum es sich dreht. Aber da steht Wolfram schon in der Tür und versucht, betont neckisch, witzig aufzutreten. Wein wird die ganze Zeit reichlich konsumiert, was mit dazu beiträgt, die Situation ausufern zu lassen. Schließlich gießt ihm Klara eine Flasche über den Körper, ist sie doch seine Anspielungen und Anschuldigungen gegenüber Astrid leid. Wolfram spielt darauf an, dass Astrid auf der Klassenfahrt ihre Schülerin Ellen, die Opfer eines üblen Trinkgelages geworden war, nicht nur selbstlos betreut hat: „Sexueller Missbrauch steht im Raum.“ Schnell wird jedoch klar, dass er selbst immer schon versucht hat, Astrid anzumachen trotz seiner Feststellung: „Schade, dass du eine Lesbe bist.“ Florian Lange spielt Wolfram grandios schmierig, von sich und der Dominanz der Männer überzeugt, aber zugleich auch als einen unsicheren Mann, der viel lieber Musiker als Beamter geworden wäre („Die Orgel ist mein Instrument.“). Astrid (Claudia Hübbecker) ist die lesbische Lehrerein, die mit Klara (Pauline Kästner) zusammenlebt. Empört weist sie Wolframs Anschuldigung, die er angeblich von Ellens Eltern übernommen hat, zurück. Sie hätte definitiv die missliche Lage der Schülerin nach deren Besäufnis nicht ausgenutzt, als sie sie fürsorglich in ihrem Bett schlafen ließ und selbst das Sofa in dem Zimmer wählte. Wolfram unterstellt ihr jedoch sexuellen Missbrauch und dass sie schon Klara so in ihre „Liebesfalle“ gelockt habe. Astrid wehrt sich und wirft ihm ihrerseits jahrelange sexuelle Belästigung ihr gegenüber vor. Als er ihr mit dem Gericht droht, behauptet sie, alle seine Zudringlichkeiten genau protokolliert zu haben. Später öffnet sie den Wandschrank und nichts ist zu sehen. Ein gelungener Bluff scheinbar. Klara ist die Einzige an diesem Abend, die findet, dass die Lügen ein Ende haben müssten. Hat doch Astrid verschwiegen, wie sie sich nähergekommen sind. Daher gießt sie wütend zwei Flaschen Wein über Wolfram aus, der wie der sprichwörtliche begossene Pudel schließlich die Wohnung verlässt. Auch Klara zieht für die Nacht – ob länger, das bleibt unklar – zu einer Freundin. Ein absolut faszinierender, sehr facettenreicher Abend, ein Psychodrama. Viele Klischees und Vorurteile werden als falsch entlarvt. Sprachlich gekonnt und mit viel Wortwitz gewürzt. Nicht zu vergessen das herausragende Schauspielertrio, das dazu beiträgt, dass man den Abend nicht so schnell vergisst. Zu Recht langer heftiger Applaus und Standing Ovation. Kurz und bündig: ein ungemein fesselnder Abend über menschliche Beziehungen und deren Abgründe
Düsseldorf aktuell
Lügen, Liebe, Lehrerleben im Schauspiel Düsseldorf: „Ellen Babić“ Es war im Lockdown. Stillstand auch für die Theater. Viel Zeit. Während andere den Keller aufräumten, schrieb der Dramaturg, Regisseur und Autor Marius von Mayenburg gleich drei Stücke. Mit derselben Grundidee. Da ist ein Paar zuhause, eine dritte Person kommt hinzu: Psychostress. In der mittleren Version, „Ellen Babić“, geht es um eine lesbische Lehrerin, die mit einer ehemaligen Schülerin zusammenlebt und vom Chef besucht wird. Der will mit ihr ein heikles Thema besprechen. Was an Lügen, Liebe, Machtspielchen verhandelt wird, ist eher amüsant als brisant und gefällt dem Publikum im Schauspielhaus Düsseldorf. Und wer ist Ellen Babić? Die tritt gar nicht auf. Löst allerdings die Krise aus. Es handelt sich um eine Schülerin aus der 10. Klasse, die nach einer Klassenfahrt behauptet, ihre Lehrerin Astrid sei auf der Reise übergriffig geworden. Die wiederum beteuert, sie habe sich nach einer Schülerparty lediglich pflichtgemäß um die volltrunkene Ellen gekümmert. Fakt ist: Die Schülerin hat in ihrem Zimmer geschlafen. Unter ähnlichen Umständen fing einst die Beziehung zu Astrids Lebensgefährtin Klara an. Und Schulleiter Wolfram, ein verkrachter Musiker, scheint die schwebenden Vorwürfe zu nutzen, um Astrid unter Druck zu setzen. Denn er fand sie schon immer attraktiv. Was ist wahr? Was ist gelogen oder nur ein Missverständnis? So ganz klärt der Autor den Sachverhalt nicht auf. Wie so oft im Leben hält sich zäh die Ungewissheit. Zündstoff für Provokationen und Konflikte. „Ellen Babić“ ist ein Kammerspiel für drei Personen, das eigentlich auf kleine Bühnen gehört. Doch man spielt im Großen Haus, dessen Tiefe verborgen bleibt. Susanne Hoffmann hat eine elegante Salon-Kulisse mit rotem Sofa und raffinierter Schrankwand gebaut. Nicht nur die Optik neigt zum Boulevard. Ehe die Sache zu ernst wird, gibt’s Slapstick mit dem Regal, Kokettieren auf Stöckelschuhen oder ein paar Sprüche über Körpergerüche, die bereitwilliges Lachen auslösen. Unter der freundlichen Regie von Anton Schreiber gelingt es dem Trio da oben, in wabernden Dialogen und recht langatmigen Monologen eine Spannung zu erzeugen. Die aparte Claudia Hübbecker als Astrid bewahrt durchgehend Haltung. Sie lässt die Nervosität der Figur nur erahnen, während Pauline Kästner als ihre Freundin Klara die Aufregung körperbetonter spielt, mit Dingen hantiert, gymnastische Positionen vorführt und am Ende sehr viel Wein verschüttet. Florian Lange hat es nicht leicht als Schulleiter Wolfram, der zwischen verdruckten Begierden und angedeuteten Drohungen schwankt. Für alle gibt es bei der Premiere herzlichen Applaus.
Interview bei WDR Kultur:
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Neue Düsseldorfer Online-Zeitung
Ellen Babic oder Misogynie, Macht und Missbrauch Es gibt eine souveräne Person in dem Drei-Personen-Stück: Klara, die junge Schreinerin und Gefährtin der Lehrerin Astrid. Pauline Kästner zeigt diese eigenständige Klara etwa bei einer wunderschönen Liebeserklärung, ist aber auch sehr deutlich, als sie ihre eigenen Entscheidungen fällt und das auch schon in der Vergangenheit tat. Was bleibt, ist ein Verdacht, eine Verunsicherung, hervorgerufen von den vorgeschobenen Anschuldigungen einen misogynen Mannes, der schon mal die Beherrschung verliert und den männlichen Brüllaffen gibt. Das Stück lässt sich lesen als Machtkampf einer Frau (ausgezeichnet Claudia Hübbecker) gegen einen übergriffigen, etwas schmierigen Kollegen, den Florian Lange durchgehend wunderbar stimmig darbringt. Zwei Frauen in einem Zimmer, das mit 70er-Jahre-bunten Möbeln glänzt und versteckten Gags wie Waschmaschine im Schrank und Bad mit Schiebetür. Das Paar spricht über den angekündigten Besuch des Kollegen und Direktors von Lehrerin Astrid. Die eindeutig jüngere Klara will nicht, dass er kommt, Astrid aber will den Chef in die Woh nung lassen, weil sie ahnt, um was es geht. Direktor Wolfram erscheint im regennassen Mantel und zieht als erstes mal die Schuhe aus. „Ich habe keinen Körpergeruch“, sagt Wolfram, was ihm später widerlegt wird, führt. Perfide und misogyn verknüpft Wolfram das mit deiner Vorstellung, dass Astrid auch Klara so mit KO-Tropfen verführt habe. Er wolle sie vor dem vermeintlichen Urteil der Kolleg*innen und des Vaters beschützen. Aber es wird sehr deutlich, dass er durchaus mehr will, er will ein Verhältnis mit der lesbischen Astrid. Die macht ihm sehr deutlich, dass sie aber so gar nichts von ihm will, und spricht von den Heften, in denen sie seine bisherig Übergriffigkeit dokumentiert habe. Wolfram zitiert auch Shakespeares 18. Sonett („Shall I compare thee to a Summer’s day?...“ ) und prahlt mit seinen Kenntnissen, Astrid erwähnt kurz und trocken, dass sie Anglistik studiert habe, und Wolfram redet von „unterdrückten Männern“. Klara war gegen den Besuch, aber Astrid meint, er habe sie vor Intrigen durch Kollege*innnen geschützt. Klara bleibt erst mal im anderen Zimmer. Der Kollege ergeht sich in eitle Selbstdarstellungen und dann Andeutungen. Als Klara erscheint, diesmal in Pumps und Glitzer-Hose, beginnt er sofort plump mit ihr zu flirten. Im Verlauf des Abends wird Wolframs Vorstellung von Männlichkeit deutlich: Wenn Astrid seine Andeutungen nicht versteht, wird er laut, er brüllt. Es geht darum, dass der Vater von Ellen Babic meint, Astrid habe seine Tochter auf reinem Klassenausflug nach einem Besäufnis mit KO-Tropfen betäubt und ver Klara allerdings schildert dann, dass sie die Aktive war, „ich habe den Anfang gemacht“, dass sie schon mit 16 Jahren in Astrid verleibt war, die sich zuerst gegen eine Beziehung gewehrt habe. Als Klara schildert, wie sie Astrid gesehen habe, wird das eine schöne Liebeserklärung. Etwas später macht Klara gegen das Gerede von Wolfram deutlich, dass sie erst mit 18 Jahren bei Astrid eingezogen ist. Und schließlich übergießt sie den bereits verdattert dasitzenden Wolfram genüsslich, aber ruhig, erst mit Weißwein und dann mit Rotwein. Wolfram dackelt mit nasser Hose ab. Klara aber ist immer noch misstrauisch gegenüber Astrid. Und geht – allerdings mit dem versöhnlichen Versprechen, wieder zu kommen. Drei ganz hervorragende Darsteller*innen Was bleibt nach zwei Stunden: Drei ganz hervorragende Darsteller*innen mit teils sehr spritzigen und witzigen Dialogen. Und die Erkenntnis, dass das Stück von Marius von Mayenburg zu viel auf einmal will: Machtmissbrauch darstellen, Mysogynie und Missbrauch von Kindern, Machtkampf eines Mannes, der damit zusammenhängt …. Dass eine Frau mit einer viel Jüngeren zusammen lebt – die als 18 -Jährige zu ihr gezogen ist – kann in der heutigen Zeit eigentlich nur noch bei ganz Rechts fragwürdig sein. Zumal diese Konstellation bei Männern (älterer Mann, junge Frau) kaum Diskussionen auslöst. Gerade der ungeheure Missbrauch von Kindern ist eine schwierige Aufgabe auf der Bühne, und dies gelingt im Stück auch nicht wirklich. Denn dass die Lehrerin ein junges Mädchen missbraucht haben soll, ist wohl nur ein Vorwand für den misogynen Direktor, um Macht über die Kollegin zu bekommen. Und das titelgebende Mädchen, die übrigens nicht auftaucht, ist mit 16 Jahren für Pädophile wohl schon zu alt. Und wenn so viele Menschen (Vater, Direktor, Kollegen) von diesem Verdacht wissen, wie in dem Stück, wäre die Lehrerin zumindest schon beurlaubt und könnte nicht mehr vom Direktor Wolfram (angeblich) geschützt werden. Es gibt ja durchaus eine institutionelle Verharmlosung und Vertuschung von Kindesmissbrauch, wie sie mehrfach beispielsweise in Kirche und Schulen in den vergangenen Jahren zum Teil zumindest aufgedeckt wurden. Und für Lehrer*innen ist inzwischen längst klar, dass sie eine 16-jährige Schülerin nicht alleine mit auf ihr Zimmer nehmen dürfen. Am Ende Jubel und teils stehende Ovationen für die Darsteller*innen und die Inszenierung. Autor Marius von Mayenburg, der in Düsseldorf auch das Stück „Linda“ seit 2019 inszenierte, war ebenfalls bei der Premiere von Ellen Babic, das im Februar 2024 erstmals beim Berliner Ensemble die deutschsprachige Uraufführung erlebte.